Werner Lesebuch

Peter Voß

Werner Lesebuch

ISBN 978-3-929158-04-5
Bestellnr.: 00-04
96 Seiten, Format 15 x 21 cm
25 Abb., fester Einband
EUR 9,95 UVP


Gesammelte Geschichte(n) aus der Stadt Werne und dem südlichen Münsterland


LESEPROBE :


Vorwort
Werne an der Lippe - die kleine liebenswerte Stadt, an der Grenze von Ruhrgebiet und Münsterland, blickt auf eine fast 1200 jährige Vergangenheit zurück. Zunächst viel umkämpfte Grenzfestung des Oberstiftes Münster, wurde hier bis zum ausgehenden Mittelalter reichlich Geschichte "geschrieben". Später, mit Beginn der Neuzeit, verfiel Werne doch mehr und mehr in einen Dornröschenschlaf als Ackerbürgerstädtchen. Erst zum Ende des 19. Jahrhunderts kam wieder eine Wende in Sicht.
Andere südliche Nachbarstädte waren schon längst durch Kohle und Stahl von der Industrialisierung eingeholt, als Werne für einige Jahre den Ruhm und das Flair eines Bade- und Kurortes genießen konnte. Doch auch hier war die "neue Zeit" nicht aufzuhalten. Mit dem Abteufen der Zeche Werne wurde 1899 begonnen. Wenige Jahre später hatte Werne ein völlig neues Gesicht erhalten. Die Stadt wuchs aus ihren alten Grenzen hinaus, die seit Jahrhunderten durch die einstige Stadtmauer vorgegeben waren. Viele hinzugezogene Bergarbeiter ließen sich hier nieder und benötigten neuen Wohnraum. So entstanden rund um die Altstadt Wohnsiedlungen und Zechenkolonien, in der Innenstadt die ersten mehrgeschossigen Kaufhäuser. Das Stadtbild änderte sich rasch bis zur uns heute bekannten und vertrauten Form.
Aber all die Jahrhunderte, die durch unsere Stadt gezogen sind, schrieben nicht nur Geschichte, sondern hinterließen auch viele kleine Geschichten und Erzählungen. Bei der Recherche zu anderen Veröffentlichungen bin ich immer wieder auf solche Mitteilungen und "Dönekes" gestoßen. Damit diese nicht in Vergessenheit geraten oder verlorengehen, habe ich sie in diesem Lesebuch zusammengefaßt. Die Artikel sind unverändert übernommen, so daß auch Schreibweisen und Redewendungen im alten Stil erhalten geblieben sind. Vom Mittelalter bis zur jüngsten Nachkriegszeit reicht die Spanne der Geschichten, die Ihnen über 12. Jahrhunderte Werner Stadthistorie näherbringen möchten.


Wo blieb das Werner Krokodil?

(Zeitungsausschnitt von 1949)

Die Sim-Jü-Kirmes wirft seine Schatten voraus. Bei der Stadtverwaltung häufen sich bereits die Anträge von Schaustellern, die sich um einen Platz auf dieser weitbekannten Kirmes bemühen. Einer dieser zahlreichen Anträge enthielt einen interessanten Nachsatz, der die Erinnerung an eine einmalige komisch-lustige Begebenheit - einen echten Schildbürgerstreich - wachruft. Es heißt dort: "... Ich war zuletzt 1919 in Werne Lippe, wo ich meinen großen Alligator begraben mußte, der mir dort gestorben ist, den ich in diesem Jahr ausgraben möchte, um das Skelett zu bergen ..." - Wenn der Schreiber dieser Zeilen wüßte, in welch` Aufregung sein totes Reptil die Stadt Werne damals versetzt hat ----
Es war im Jahre 1926. Eine Kolonne von Notstandsarbeitern war an einem regnerischen Tag bei der Horneregulierung am Hagen beschäftigt, als plötzlich einer der Arbeiter bei den Erdarbeiten einen ungewöhnlichen Fund machte. Noch war nicht genau zu erkennen, um was es sich handelte, doch als der herbeigerufene Vorarbeiter mit aller Vorsicht weitergraben ließ, stand man vor einem ausgewachsenen Krokodil. Niemand zweifelte daran, daß man einen prähistorischen Fund von vielleicht größter Bedeutung gegenüberstand. Man schickte sofort zum Bürgermeister und bat ihn, zur "Regulierung" zu kommen, wo man einen bedeutungsvollen Fund gemacht habe. Der Bürgermeister war Feuer und Flamme, und bald stand er mit einigen Stadträten, mit Herren der Verwaltung und einem Fotografen vor dem Fund "von größtem historischen Wert", der einmal Wernes Ruhm in alle Welt hinaustragen sollte. Im Geiste sah man schon hinter der wissenschaftlichen Bezeichnung dieses Fundes das schmückende Beiwort "wernensis" stehen, wie z.B. beim homo sapiens heidelbergensis. "Mindestens 30.000 Jahre alt", war die allgemeine Ansicht. Der Bürgermeister, im vollen Bewußtsein seiner Verantwortung, ließ den Fund sorgfältig bewachen und verständigte sofort telegrafisch den Provinzialkonservator sowie die Museumsdirektoren von Münster und Hamm. Diese Herren kamen auch auf dem schnellsten Wege nach Werne und begaben sich in Begleitung der stolzen Stadtvertreter zur Fundstelle. Mit der umstehenden Volksmenge erwarteten die Würdenträger der Stadt voller Spannung das Urteil der Fachleute. Diese nahmen eine kurze Untersuchung vor, blickten sich dann bedeutungsvoll an, wobei sie mit Mühe ein Lächeln unterdrückten, und einer von ihnen soll dann nach einer damaligen Zeitungsnotiz wörtlich gesagt haben: "Ja, meine Herren, das Tier ist ein noch nicht ausgewachsenes Exemplar der Gattung Crocodilus niloticus, höchstens zwei Monate tot und ohne jeden historischen Wert." - Wie man sagt, sollen die Gesichter der verantwortlichen Männer daraufhin noch länger geworden sein als der Schwanz des Krokodils.
Die Zeitungen kannten damals noch keine Papierknappheit, was Wunder also, wenn sie sich dieses Leckerbissens mit Vergnügen annahmen. Ausführliche Schilderungen über eine ganze Seite mit Bildern waren keine Seltenheit und Überschriften wie "Werne am Nil" usw. sorgten dafür, daß man in Werne das Lachen nicht allein zu tun brauchte.
Wir sind jedenfalls gespannt auf die diesjährige Sim-Jü-Kirmes. Wird es dem Eigentümer gelingen, das Skelett des crocodilus niloticus wernensis, das nach diesem Vorfall an anderer Stelle wieder vergraben wurde, aufzufinden?

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